Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e.V.
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Das Bundesarbeitsgericht hatte Ende letzten Jahres entschieden, dass eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst besteht, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften verstößt (DEHOGA compact berichtete).
Nunmehr liegen die Entscheidungsgründe zu dem Urteil vor. Danach ist jetzt klar, dass alle Arbeitgeber, die ihren Teilzeitkräften bislang Zuschläge auf Mehrarbeit nicht abhängig von ihrer individuellen vertraglichen Arbeitszeit sondern erst nach Überschreiten der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft zahlen (also abhängig von Höhe und Bemessung der regelmäßigen Arbeitszeit z.B. bei mehr als 39 Stunden pro Woche, 169 Stunden pro Monat oder Überschreiten der Ausgleichszeiträume des Arbeitszeitkontos) diese Praxis dringend überprüfen sollten. Mit verstärkten Nachfragen der Mitarbeiter und Aktivitäten der Betriebsräte und der Gewerkschaft NGG ist zu rechnen. Auch eine Phantomlohnproblematik ist nicht ausgeschlossen.
Die Rechtsgrundlagen, aufgrund derer im Gastgewerbe Mehrarbeitszuschläge gezahlt werden, sind unterschiedlich. Meist basieren die Zuschläge auf Tarifverträgen, die allerdings sehr unterschiedlich formuliert sind. In dem jetzt veröffentlichten Urteil hatte das BAG eine Tarifregelung des Bundesverbandes der Systemgastronomie auszulegen. Für diese Tarifregelung hat es entschieden, dass der Sinn und Zweck der Regelung der Schutz des individuellen Freizeitbereichs der Arbeitnehmer sei. Die Einschränkung der Dispositionsmöglichkeit über die eigene Freizeit treffe Vollzeit- und Teilzeitkräfte in gleicher Weise. Der Zweck, die Einbuße an Freizeit zu belohnen, könne deshalb nur erreicht werden, wenn jegliche Mehrarbeit - unabhängig davon, ob sie von einer Vollzeit- oder Teilzeitkraft erbracht werde - den Zuschlag auslöse. Eine andere Auslegung sei auch nicht mit § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (Diskriminierungsverbot) vereinbar.
Arbeitsgerichtliche Urteile wirken immer nur zwischen den Parteien und das Urteil bezieht sich auf die konkrete Auslegung eines konkreten Tarifvertrags. Da der hier entscheidende Zehnte Senat des BAG aber seine bisherige Rechtsprechung zur Beurteilung der Ungleichbehandlung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ausdrücklich aufgibt, hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere ähnliche gelagerte Tarifverträge und sonstige Rechtsgrundlagen. Nach der Formulierung der Urteilsgründe könnte es zwar in bestimmten Fällen weiterhin möglich sein, differenzierende tarifvertragliche Regelungen zu treffen. Konkret: Wenn der hauptsächliche Sinn und Zweck des Tarifvertrags darin besteht, einen Ausgleich für besondere Belastungen vorzunehmen (und nicht die individuelle Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers über seine Freizeit zu schützen), gäbe es einen zulässigen sachlichen Grund dafür, Mehrarbeitszuschläge erst zu gewähren, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird. Dafür müsste es aber konkrete Anhaltspunkte im jeweiligen Tarifvertrag geben.
Das rechtliche Risiko ist in jedem Falle hoch. Jedes Unternehmen muss letztlich selbst entscheiden, ob es das rechtliche und wirtschaftliche Risiko einer Nichtübertragung des BAG-Urteils auf die eigene Abrechnungspraxis tragen will. Bei Fragen zur Auslegung des von Ihnen angewendeten Tarifvertrages wenden Sie sich bitte an Ihre zuständige DEHOGA-Geschäftsstelle.
Uns ist bewusst, dass eine 1:1-Übertragung des Urteils für Unternehmen mit schwankenden Arbeitszeiten und hohem Teilzeitanteil, die bisher Teilzeitbeschäftigten erst ab Überschreiten der Vollzeitschwelle Mehrarbeitszuschläge zahlen, eine betriebswirtschaftliche Herausforderung darstellt. Wir wissen auch, dass damit die Grundlage für die Kalkulation der Personalkosten stark erschüttert werden kann und dass das Urteil nicht dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Vollzeitkräfte entsprechen wird. Zur Minimierung des Risikos empfehlen wir dennoch betroffenen Unternehmen, vorrangig andere Möglichkeiten zur Kompensation zu prüfen. Je nach Einzelfall können das insbesondere sein die (verstärkte) Nutzung von Arbeitszeitkonten und Ausgleichszeiträumen – auch bei Minijobbern - oder die Anpassung der vertraglichen Arbeitszeit von Teilzeitkräften an den tatsächlichen Bedarf, wenn Teilzeitkräfte häufig Überstunden leisten.