Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e.V.
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Der Europawahltag in Deutschland hat stattgefunden am Sonntag, 09. Juni 2024.
Angesichts der vielfältigen und immer komplexer werdenden Herausforderungen kommt es mehr denn je auf eine starke, wettbewerbsfähige und leistungsbereite EU an. Eine EU, die sich wieder auf ihre Kernkompetenzen besinnt und erfolgreiches politisches Handeln und Wirtschaften insbesondere für die kleinen und mittelständischen Unternehmen wie die des Gastgewerbes ermöglicht.
Im April haben der DEHOGA und IHA ihre gemeinsamen Reformvorschlägen den Kandidatinnen und Kandidaten sowie ihren Parteien übermittelt und um klare Positionierungen zu den Standpunkten des Gastgewerbes gebeten.
Die Tourismusbranche steht für 10% des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union. Ob im Umweltschutz, der Energiepolitik, der Digitalisierung, der Arbeitsmobilität oder der Völkerverständigung: Der Tourismus und das Gastgewerbe operieren entlang einer extremen Themenbreite, die auf EU-Ebene eine bessere ressortübergreifende Koordinierung benötigt.
Dabei wäre ein eigener Budgettitel für Tourismuspolitik enorm hilfreich, um die nachhaltige Transformation der Betriebe der Branche effektiv und optimal zu fördern. Ratstreffen der für Tourismus in den Mitgliedsstaaten zuständigen Ministerinnen und Minister sollten institutionalisiert und unter jeder Ratspräsidentschaft verpflichtend werden.
Das Gastgewerbe ist von kleinen und mittlere Unternehmen (KMU) geprägt. In Deutschland sind sogar 78,9% der Betriebe Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten, was den besonderen Charme unserer Branche ausmacht. Wenn wir in Europa groß bleiben wollen, müssen wir bei allem, was wir tun, das „Think small first-Prinzip“ konsequent beherzigen. Nur so kann der Aufbau neuer Bürokratie vermieden und bestehende Überregulierung abgebaut werden.
Komplexe Berichtspflichten, für die große Konzerne eigene Abteilungen schaffen können, lassen sich im Arbeitsalltag eines mittelständischen Hotels oder Gastronomiebetriebe nicht umsetzen. Es ist an der Zeit, dass auch EU-Verordnungen explizit dem Ziel der Bürokratieentlastung unterstehen müssen. Bei allen neuen Verordnungen, Richtlinien und sonstiger Brüsseler Gesetzgebung sind zuallererst die Auswirkungen auf KMU zu berücksichtigen.
Damit unsere von kleinen und mittleren Unternehmen geprägte Branche den Sprung in eine nachhaltige und digitale Wertschöpfung im Sinne des Green Deals schaffen kann, braucht sie materielle Förderung und Investitionssicherheit.
Fördermittel müssen für KMU und Kleinstunternehmen möglichst transparent an einer Stelle zusammenlaufen und unkompliziert abrufbar sein.
Die Einrichtung der Bewerberplattform European Employment Services (EURES) war ein dringend notwendiger Schritt zur Stärkung der Arbeitsmobilität in der EU. Das Bewerberportal ist aber noch viel zu wenig bekannt und wird zu wenig genutzt.
Um die eklatanten Beschäftigungsunterschiede innerhalb der Europäischen Union auszugleichen, muss der EU-Talentpool nun von allen Mitgliedsstaaten implementiert und mit Leben erfüllt werden. Es muss verstärkt Marketing für die intereuropäische Arbeitsmobilität betrieben werden.
Flexible Arbeitsmodelle müssen geschaffen und gefördert werden, um den Herausforderungen eines sich rapide wandelnden Arbeitsmarktes gerecht werden zu können. Europäische Angebote zur Steigerung der Lernmobilität, wie z. B. das Erasmus-Programm, müssen auch für Ausbildungen im Tourismus stärker in das Bewusstsein gerückt werden.
Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz sind in Deutschland endlich einige Barrieren zur Beschäftigung ausländischer Mitarbeitenden abgesenkt worden. Nun müssen die neuen Chancen genutzt werden und sich alle Stakeholder dafür einsetzen, den Prozess der Fachkräfteeinwanderung auch so unbürokratisch wie möglich zu gestalten. Die vollständige Digitalisierung des Visa-Prozesses für Staatsangehörige von Drittstaaten muss in der kommenden Legislaturperiode dringend in Angriff genommen werden.
Eine verpflichtende Annahme von Bargeld, wie sie im Rahmen des EU Payments Package diskutiert wird, wäre für viele Betriebe des Gastgewerbes ein kundenunfreundlicher und kostenbelastender Rückschritt ins analoge Zeitalter. Sie würde ein kontraproduktives Signal gegen die Digitalisierung von Zahlungsmethoden senden. Den Betrieben muss bei klarer Kundenkommunikation die Wahl des Zahlungsmittels freistehen.
Eine einheitliche Festsetzung von Zahlungsfristen im Geschäftsverkehr auf maximal 30 Tage, wie sie im Rahmen der Verordnung zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Late Payments Directive) diskutiert wird, wäre ein erheblicher Eingriff in die Vertragsautonomie und damit in die unternehmerische Freiheit.
Durch individuelle Zahlungsziele können insbesondere KMU ihren Cashflow sicherstellen und optimieren sowie unternehmerische Risiken reduzieren. Fristen von mehr als 30 Tagen und ein Verzicht auf Verzugszinsen müssen weiter zulässig sein, wenn sie für den Gläubiger nicht grob unbillig sind.
Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) schreibt in Artikel 45 Absatz 1 Buchstabe a vor, dass die Meldescheine in Beherbergungsstätten von beherbergten Ausländern „eigenhändig“ ausgefüllt und unterschrieben werden müssen. Hier muss auf europäischer Ebene dringend eine Klarstellung erwirkt werden, dass der nationale Gesetzgeber bestimmte elektronische Identifikationsverfahren der Eigenhändigkeit gleichstellen kann.
Zum Zeitpunkt des Abschlusses des SDÜ im Jahr 1985 waren elektronische Verfahren, mit denen sich Personen vergleichbar sicher wie mit einer eigenhändigen Unterschrift identifizieren lassen, weder bekannt, geschweige denn etabliert. Wir plädieren für eine praxisgerechte Interpretation dieser Vorgabe auf einem akzeptablen Sicherheitsniveau im digitalen Zeitalter.
Das derzeit laufende Verfahren zur Deklarierung der Booking Holdings als Gatekeeper im Sinne des Digital Markets Act (DMA) ist für die Hotellerie von zentraler Bedeutung für einen zentralen Zugang zu digitalen Vertriebswegen. Seitens der Europäischen Kommission und der nationalen Kartellbehörden muss sichergestellt sein, dass nun auch die notwendigen Ressourcen zur Durchsetzung dieser innovativen und beispielgebenden Wettbewerbsregulierung der Internetgiganten zur Verfügung stehen.
Allerdings müssen die Europäischen Institutionen bei der Implementierung des DMA darauf achten, dass keine Kollateralschäden für die kleinen und mittleren Unternehmen des Gastgewerbes entstehen. So sehr z.B. das Verbot der Selbstbevorzugung bei Gatekeepern wie Google zu begrüßen ist, so sehr darf es in der Umsetzung nicht zu einer sogar noch geringeren Wahrnehmung von Einzelhotels oder Hotelgesellschaften und einer weiteren Stärkung marktmächtiger Online-Vertriebsportale (OTA) auf dem Suchportal führen.
Der erstmalige Einblick in die Plattform-Ranking-Parameter gemäß der Platform-to-Business Regulierung (P2B-Verordnung) war ein wichtiger Schritt in der jetzt ablaufenden Legislaturperiode. Wünschenswert und notwendig wäre es aber, dass Plattformen zukünftig auch relevante Informationen über die Gewichtung der Ranking-Parameter an die Hotels sowie Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben müssen.
Im März 2023 präsentierte die Europäische Kommission einen Richtlinienentwurf zu „grünen Behauptungen“ (Green Claims Directive). Das Ziel der Richtlinie ist es, verbindliche Kriterien für die Verwendung werbender Begriffe, wie „regionales Produkt“, „umweltfreundlich“, „plastikfrei“, „CO2-neutral“ oder „klimaneutral“ festzulegen. Anforderungen an Umwelt- und Nachhaltigkeitssiegel sollen europaweit festgelegt und standardisiert werden, um irreführende, vage und nicht fundierte Umweltaussagen und somit auch Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Derzeit gibt es in der EU etwa 230 Umweltzeichen mit teilweise sehr unterschiedlichen Anforderungen in Bezug auf Transparenz und Überprüfbarkeit, von denen einige speziell auf die
Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen zugeschnitten sind. Bei der Umsetzung der Green Claims Directive ist daher unbedingt darauf zu achten, dass dieser Markt nicht kontraproduktiv verengt und Umweltzertifizierungen für KMU unerreichbar werden.
Sowohl bei der Verabschiedung der Trinkwasserrichtlinie 2019 als auch bei der Verpackungsverordnung 2024 gab es starke Bestrebungen im Europäischen Parlament und im Rat, die kostenlose (oder kostenreduzierte) Abgabe von Leitungswasser als Trinkwasser in Restaurants zur gesetzlichen Pflicht zu machen.
Die Entscheidung, ob eine Gastronomin oder ein Gastronom Gästen Leitungswasser kostenlos zur Verfügung stellen will oder nicht, muss auch zukünftig freiwillig bleiben. Alles andere wäre nicht nur ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Preisgestaltung, sondern auch in die unternehmerische Freiheit.
Ein kluger Einkauf, eine effiziente Lagerung und Verarbeitung gehören zum Handwerkszeug guter Gastronominnen und Gastronomen. Bei der anstehenden Überarbeitung der Richtlinie über Lebensmittelabfälle (Food Waste Reduction Directive) ist es zwingend erforderlich, dass die im Gaststättengewerbe bereits erreichte Abfallvermeidung angemessen berücksichtigt wird. Die für die Branche festzulegenden Abfallminderungsziele müssen branchenspezifisch erarbeitet werden und nicht zuletzt auch umsetzbar bleiben.
Hierzu wird es von entscheidender Bedeutung sein, das Bewusstsein für die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung parallel auch bei den Konsumenten zu schärfen.
Das europäische Gastgewerbe hat in den letzten Jahren rauchfreie Innenräume umgesetzt und erfolgreiche Konzepte zum Nichtraucherschutz entwickelt. Die nun im Rahmen der Revision der Ratsempfehlung für rauchfreie Umgebungen (Revision Council Recommendation Smoke Free Environments) angedachte Ausweitung des Rauchverbots auch auf die Außengastronomie schießt weit über das Ziel hinaus. Sie ist gesundheitspolitisch wenig sinnvoll und eindeutig unverhältnismäßig.
Stand: 05/2024