Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e.V.
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Special „Energie“ – gvpraxis und Food-Service

„Müssen durch diesen Winter kommen – mit Mut, Tatkraft und Unterstützung“

Im Gespräch: Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga Bundesverbandes, Berlin

Wir treffen Ingrid Hartges per Videocall in ihrem Berliner Büro an, Ende September. Auf ihrem Laptop: Schreiben an Ausschussvorsitzende im Bundestag und an Abgeordnete, die sich jetzt gerade zu ihren Sitzungswochen in der Bundeshauptstadt versammeln. Deren Hauptthema: die Energiekrise und Maßnahmen. Und zwar endlich auch zu Hilfen für Unternehmen, nicht nur für Verbraucher. Gasdeckel, Energiepreisbremse, konkrete Unterstützungen für solche Unternehmen, die energie-intensiv produzieren – vieles steht im Raum. Profiküchen zählen im Dienstleistungsbereich, dem Tertiärsektor, mit zur ersten Liga der Energieverbraucher, manche Großküchen haben Anschlusswerte im Megawattbereich, verbrauchen jährlich mehrere tausend Megawattstunden. Doch gerade die Energiequote (der Anteil der Energiekosten am Umsatz) kleiner Betriebe wie Gaststätten und Restaurants steigt nun in Dimensionen, die bislang als tödlich für einen Betrieb galten – 10-20 Prozent und mehr. Üblich sind sonst vier bis fünf Prozent – je nach Art des Betriebs, der Produktionsweise, der Auslastung und der verwendeten Techniken.

Frau Hartges, Sie haben kürzlich Ihre Mitglieder zu den Energiekosten befragt, dazu so viel Rücklauf erhalten, wie kaum ein anderer deutscher Branchenverband, weit über 3.850 Antworten. Wie kommen Gastronomiebetriebe mit den immensen Preissteigerungen zurecht?

Bei vielen unserer 60.000 Mitglieder geht es jetzt um existenzielle Fragen, vor allem durch die explodierenden Energiekosten. Laut einer DEHOGA-Umfrage von Anfang Oktober, an der sich 3.850 Mitglieder beteiligt haben, betrachten 66,1 Prozent die Kostenentwicklung im Bereich Energie als existenzbedrohend. Das sind dramatische Zahlen. Am 28. September hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Abwehrschirm in Höhe von 200 Milliarden Euro stolz als ‚Doppelwumms‘ verkündet. Jedoch ist Stand heute (10. Oktober) weiterhin unklar, wie insbesondere die Gaspreisbremse ausgestaltet, in welchem Umfang sie eine wirksame Unterstützung leisten wird und wann sie in Kraft tritt. Das verunsichert die Branche zutiefst. Die Bundesregierung ist jetzt zum Handeln aufgefordert, und zwar konkret, schnell und konsequent.

Wird die Branche nach der Corona-Krise nun noch die Energiekrise abfedern können?

Die Aussichten sind düster, wir brauchen dringen Klarheit und Planungssicherheit. Ein bestürzend großer Teil der Branche signalisiert uns ganz deutlich, dass sie den kommenden Winter nicht durchhalten können, wenn sich nicht schnell etwas ändert. Nach 30 harten Monaten Corona-Pandemie mit neun Monaten Lockdown, sind Kredite und Rücklagen der meisten Unternehmen aufgebraucht. Laut unserer Umfrage wachsen die Energiekosten ab Oktober 2022 um durchschnittlich 55 Prozent, ab Januar 2023 um 96 Prozent. 7 Prozent der Unternehmen vermeldeten bereits im September Kostenerhöhungen von über 200 Prozent und mehr. Für 92,3 Prozent unserer Betriebe stellen die extremen Energiekostensprünge die größte aktuelle Herausforderung dar. Erschwerend hinzu kommen zweistellige Inflationsraten sowie in die Höhe schnellende Kosten allein im September für Lebensmittel (plus 26%), Getränke (plus 17%) und Personal (plus 19%) gegenüber dem Vorjahresmonat. In den meisten Betrieben können diese exorbitanten Kostensteigerungen nur teilweise über Preissteigerungen an die Gäste weitergegeben werden, so das Ergebnis der DEHOGA-Umfrage. Und wir wissen noch nicht, ob und wie die Gas- und Strompreisbremse funktionieren und in welchem Umfang unsere Betriebe damit von den massiven Kostensteigerungen und Umsatzrückgängen tatsächlich entlastet werden.

Was hilft den Betrieben, die mit dem Rücken zur Wand stehen, nun am meisten? Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?

Die Politik muss jetzt liefern. Sie muss die Energiesicherheit für den Winter gewährleisten. Dazu gehört es definitiv, alle sicheren Energiequellen auszuschöpfen. Es wäre völlig inakzeptabel, wenn einzelne Betriebe oder ganze Branchen in den Winterschlaf geschickt werden müssten. Der Energiepreisdeckel muss wirkam sein und deutliche Entlastungen bringen. Aber klar ist auch: Wir alle, Verbraucher wir Unternehmen, müssen den Energieverbrauch drosseln. Ohne relevante Einsparungen werden wir es nicht schaffen, eine Notlage bei der Gas und Stromversorgung zu verhindern.

Die Branche hat gerade einen guten Sommer 2022 erlebt, die Umsätze stiegen kontinuierlich bis in den September hinein. Wie lange können Gastronomen durchhalten?

Zur Klarstellung: Ausweislich der Zahlen des Statistischen Bundesamtes lagen die Umsätze von Januar bis Juli immer noch real 19,6 Prozent unter Vorkrisenniveau. Die Kostenexplosion bei Gas und Strom trifft die Unternehmen heftig. Kürzlich meldete sich bei mir ein Hotelier, der aktuell 72.000 Euro für Strom und Gas im Jahr zahlt. Nun soll er nach dem neuen Angebot seines Energieversorgers jährlich 408.000 Euro zahlen. Das sind Größenordnungen, mit denen hohe Verluste vorporgrammiert sind. Die gastgewerblichen Betriebe sind nicht in der Lage, diese Kosten, die bereits jetzt schon teilweise 300 Prozent und mehr der bisherigen Strom- und Gaskosten ausmachen, auf ihre Gäste umzuwälzen. Eneute Preiserhöhungen werden zwangsläufig zur Konsumzurückhaltung vieler Gäste führen. Nur mit entsprechenden Rücklagen können solche Zeiten durchgestanden werden. Laut unserer Oktober-Umfrage befürchtet fast jeder dritte Betrieb (29,6%), noch in 2022 in die Verlustzone zu geraten, für 2023 gibt das mit 53,5% mehr als jeder zweite Betrieb an. Das sind ganz laute Alarmsignale.

Vereinzelt erhoben Gastronomen in Bayern, in NRW oder auch der Schweiz einen „Energie-Eintritt“ für Gäste, etwa drei Euro. Wäre das ein Weg für die breite Masse?

Die Kalkulation der Preise ist ein hohes unternehmerisches Gut. So verhält es sich auch bei der Frage der Einführung eines „Energie-Eintritts“. Allerdings sind rechtliche Aspekte zu beachten, insbesondere die in Deutschland geltende Preisangabenverordnung. Diese schreibt vor, dass Preise für Speisen und Getränke im Restaurant als Endpreise anzugeben sind. Das heißt, Bedienungsgeld und alle sonstigen Zuschläge müssen eingeschlossen sein. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auf den Eintritt 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig werden, auf Speisen 7 Prozent. Davon unabhängig kann der Gastwirt eine Pauschale von den Gästen gesondert erheben, wenn er die Gäste vor der Bestellung deutlich wahrnehmbar auf die zusätzlich zu zahlende Pauschale hinweist. Das Bedienpersonal sollte die Gäste vor der Bestellung entsprechend informieren. Wir als DEHOGA Bundesverband geben hier keine Empfehlung ab. Generell gilt: Preiserhöhungen sollten stets gut begründet sein, ebenso die Einführung einer „Energiepauschale“. Hier müssen Gastronomen offensiv kommunizieren, immer auch schriftlich, aber in vielen Fällen auch persönlich den Gast mitnehmen, am Tisch informieren, um Verständnis werben. Viele Gäste zeigen ja auch Verständnis für unsere sehr schwierige Situation, da sie auch selbst von den steigenden Energiekosten betroffen sind.

Wie hoch kann denn ein Gastronom die Preise schrauben, ohne Gäste zu vergraulen?

Jeder Gastronom muss sich in diesen Tagen mit einer klugen Preisgestaltung und den Wünschen seiner Gäste befassen. Denn jede Zielgruppe hat ihre Schmerzgrenze, die muss der Unternehmer kennen. Wer im Fine Dining unterwegs ist, Szene-Restaurants oder ein Fünf-Sterne-Hotel betreibt, hat schon immer als Zielgruppe die Gutverdienenden angesprochen. Hier haben wir im Moment noch positive Umsatzmeldungen. Anders sieht das bei Betrieben aus, die die Mittelschicht ansprechen. Ob es sich um Mensen, Kantinen, Restaurants oder ein klassisches Wirtshaus handelt: Nicht wenige Betriebe beklagen bereits Gästerückgänge. Preisanpassungen erfolgten schon, aber durchaus mit Augenmaß: Gastronomen haben teilweise ihr Angebot angepasst und bislang verantwortlich mit Preissteigerungen reagiert, die sich am unteren Limit der jeweils aktuellen Inflationsrate bewegen. Damit jedoch werden die Mehrkosten längst nicht aufgefangen. Deshalb haben wir so vehement für die dauerhafte Entfristung der 7%-Mehrwertsteuer auf Speisen gekämpft und erst einmal eine Verlängerung bis 31. Dezember 2023 erreicht.

Wo genau sehen Sie sinnvolle Anpassungen im Angebot?

Ob nun im Bereich der Gemeinschaftsgastronomie oder bei vielen Restaurants: Viele Profis unserer Branche haben bereits reagiert und entwickeln neben ihrem Stammangebot preisattraktive Gerichte. Es werden andere Rezepturen mit durchaus mehr vegetarischen Anteilen entwickelt und in manchen Segmenten Traditionsgerichte neu interpretiert. Von zentraler Bedeutung ist mehr denn je die sorgfältige Kalkulation. Die Herausforderungen ist in vielen Betrieben, auch Speisen für den „kleineren Geldbeutel“ anzubieten.

Was können, was sollten Gastronomen jetzt tun? Ihr Rat?

Natürlich ist das oberste Gebot, nun Energie einzusparen, wo immer es möglich ist. Sparpotenziale ausloten und konsequent umsetzen, das ist im ureigensten Interesse. Bei unseren Mitgliedern werben wir deshalb verstärkt für unsere Energiekampagne Gastgewerbe. Aber es ist auch ein Gebot der Solidarität in diesen schweren Tagen. Wir wollen und müssen zusammenstehen, jeder in der Gesellschaft ist zum sinnvollen Umgang mit Energie aufgerufen. Aber auch das ist wichtig: Wir müssen teilhaben an der politischen Diskussion, und alle sollten sich gut informieren und möglichst einbringen. Zugleich gilt es mehr denn je, in die Mitarbeiterbindung und -motivation zu investieren. Präsenz und Engagement der Führungskräfte und Unternehmer sind in diesen Zeiten unerlässlich.

Wie blicken Sie auf 2023?

Wir haben in der Pandemie gelernt, jeden Morgen die Lage neu zu beurteilen und sein Bestes zu geben. Wir müssen tatkräftig, mutig und zuversichtlich bleiben. Ja, die Lage ist ernst, die Eskalationsrisiken sind größer als in der Corona-Krise. Es ist ernster als alles das, was wir in unserer Nachkriegsgeneration bislang erlebten – ob nun die Pandemie, die Finanzkrise oder in den 70ern die Ölkrise. Aber wir sind aus jeder dieser Krisen besser herausgekommen als befürchtet, dank tatkräftiger Unterstützung und einer großen Solidarität. Das brauchen wir jetzt auch.

Frau Hartges, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Claudia Dirschauer.